MARLENE THIESEN
geb. 1941 in Losheim am See
lebt seit 1968 in Merzig
Künstlerische Ausbildung und Tätigkeit
1985 – 1988
Sommerakademie Wadgassen, Zeichnen bei Charles Reinertz
1988 – 1994
Europäische Kunstakademie Trier. Zeichnen bei Volker Altrichter und Erich Krämer;
Aktzeichnen bei Renate Schmitt; Lithographie bei Walter Henn
seit 1992 Ausstellungen
1994 - 2000
Lehrtätigkeit im Landkreis Merzig-Wadern bei CEB und VHS,
Dozentin für Mal- und Zeichenkurse
2003 – 2007
Weiterbildung mit Abschluss als Kunst- und Gestaltungstherapeutin
am Institut für Kunst und Gestaltungstherapie (IKT) München und
an der Hochschule für Kunst- und Gestaltungstherapie Nürtingen
2007
Zertifizierung als psychologische Heilpraktikerin
2007 - 2012
Kunsttherapeutin in der Saarländischen Klinik für Forensische Psychiatrie, Merzig
Kunsttherapeutin beim SOS Kinderdorf Merzig
seit 2012
Arbeit als freischaffende Kunst- und Gestaltungstherapeutin in eigener Praxis,
sowie als Malerin und Zeichnerin im angegliederten Atelierhaus
2017 - 2018
Gasthörerin bei der HBK Saarbrücken bei Prof. Gabriele Langendorf
Gestaltung einer Mappe zum Gedenken von Frans Masereel
Einzelausstellungen
1992 "Kunst und Wirtschaft", Merchweiler
1992 Stadtbibliothek Merzig
1993 Galerie Hühnergarth, Merzig-Brotdorf
1995 Stadtbibliothek Merzig
1995 Weingut von Nell, Trier
1995 KEB Dillingen
1996 Galerie Frankengasse, Zürich
1997 Steins Altes Haus, Beckingen
1998 „Reiseerinnerungen“, Deutsche Bank, Merzig
1998 „AQUA VIVA“, Galerie Leismann, St. Ingbert
1999 „Anderswelt“, Museum Fellenbergmühle, Merzig
2000 Saarlandtag, Merzig
2002 „Kunst – Mühlen –Wasser“, Aktion Stadtmitte Merzig
2007 Entwürfe Logo - Buchhandlung Roten Zora / Rathaus Merzig
2009 Galerie Beck, Homburg-Schwarzenacker
2009 „Synergie“, Haus der Saarländischen Unternehmerverbände, Saarbrücken
2010 Kulturverein Farbklang e.V., Dillingen
2010 „gemalt mit der Schwanenfeder“, Stadtbibliothek Merzig zur 75 Jahr-Feier
2013 "Bilder zur eigenen Geschichte, zu Gedichten von Johannes Kühn
und zur Mythologie", Union Stiftung Saarbrücken
2016 Bouzonville, Kulturzentrum Alte Synagoge
2016 Buchhandlung Rote Zora - Blütenskizzen
2016 Museum Schloss Fellenberg - Merzig
2017 "Blattwerk-Feuilletage" - Château Saint Sixte - Freistroff/Frankreich
2017 Rathausgalerie St. Ingbert " Die Schrift der Erde trägt Bilder in sich "
2019 Druck des Arbeitsblocks der Skizzen für die Mappe der Hochschule
der Bildenden Künste Saar
2020 Bücherloft Buchhandlung "Rote Zora", Losheim am See
2022 Museum Schloss Fellenberg Merzig
"CHIFFREN - Meine Zeichensprache"
2022 Pfarrkirche St. Katharina Wallerfangen
Bilderzyklus zu Maria von Magdala
2023 "Das Rauschen sei dir anvertraut" - Galerie in der Alten Lateinschule, Illingen
Gruppenausstellungen
1991 Tuchfabrik Trier
1994 Europäische Kunstakademie, Trier
1994 Palais Walderdorff, Trier
1994 Galerie im Zwinger, St. Wendel
1994 Museum Ludwig, Saarlouis
1994 Centre d´animation culturel, Biennale de Peinture de Forbach
1995 Salon de Printemps, Letzebueger Artisten Center, Luxembourg-Ville
1995 Galerie Hühnergrath, Merzig-Brotdorf
1995 Galerie im Zwinger, St. Wendel
1995 Palais Walderdorff, Trier
1995 Hotel de Ville, Grand Prix Art, Sarreguemines
1995 La ronde de trois frontieres, Museum Saarburg
1996 Salon de Printemps, Letzebuerger Artisten Center, Luxembourg-Ville
1996 Palais Walderdorff, Trier
1996 TuFa Trier
2005 Limes Künstlervereinigung, Museumsausstellungen in der Saar - Lor - Lux, Belgien
2007 Limes-Ausstellung, Kulturzentrum Alte Kaserne, Saarlouis
2010 Mail Art-Projekt, Tufa Trier
2011 Galerie HS Ulrichsberg (Österreich), Internationale Kunst der Gegenwart im
Kontext mit Hans Schnell
2015 MEIN BLAU Projektraum, Schloss Wiepersdorf, Berlin, Gruppenausstellung
der Stipendiat*innen 2015
2018 Ausstellung der Arbeiten für die Mappe - Drucksachen 4 -
in der Ecole Nationale supérieure d´art et de design in Nancy und in der HBK Saar in Saarbrücken
2020 Galerie am Pavillon < exceptionelles IV > Saarbrücken; Graphik, Zeichnungen und
Malerei aus dem Saarland
2020 Herbstsalon 2020 - Eurobahnhof der Landeshauptstadt Saarbrücken;
KuBa - Kulturzentrum am EuroBahnhof Saarbrücken
2023 Laboratorium am Institut für aktuelle Kunst Saarlouis; Präsentation der - DRUCKSACHEN IV -
Druckgrafische Arbeiten von Studierenden und Lehrenden der HBK Saar
2023 Multimediale Kunstausstellung "Undine geht";
Galerie Netzwerk Trier, Neustraße 10, Gemeinschaftsausstellung des 50. Todestages
von Ingeborg Bachmann
Auszeichnungen
1994 Erster Preis der Biennale de Peinture de Forbach
1996 Preis der Biennale de Peinture de Forbach (Mention du jury)
2013 Preis der Biennale de Peinture de Forbach (Mention du jury)
2015 Stipendium Kultusministerium des Saarlandes, Schloss Wiepersdorf
Die Künstlerin und Kunsttherapeutin Marlene Thiesen
Alfons Reiter, Salzburg
Ihre Zeichnungen, die von Legenden, Märchen, Mythen, von Mischwesen und Fabelwesen erzählen, will die Künstlerin als „Chiffren“ verstehen. Sie ist selbst verwundert, wie diese Figuren in ihren Träumen und Bildern auftauchten, wie als Beispiel ein „Harfe-spielender Ziegenbock. Welch’ seltsame Darstellung“. Aber die Bilder wirken, lösen in ihr Kräfte und Veränderungen aus. Sie spürt intuitiv: Diese Bilder aus Untiefen ihres Bewusstseins emporgekommen sind nicht nur für sie bestimmt: „Ich möchte auch ... die Betrachter meiner Bilder zum Lesen des symbolhaft Versteckten, ja rätselhaft Geheimnisvollen verleiten“.
Sie weiß, dass sie mit diesen Bildern Schätze gehoben hat, die auf unserem Seelengrund ruhen. Sie ahnt um deren Bedeutung, vermag diese aber nicht in Worte zu fassen; und dies kann auch nicht gelingen, weil unser begriffliches Denken zum Inhalt und Reichtum unseres archetypischen Grundes keinen Zugang hat. Wohl aber die künstlerische Intuition. Hier nimmt sie feinsinnig wahr: Mächtige, bedeutsame Inhalte drängen in die Gestaltung. Sie wollen zum Ausdruck kommen; und merkt dabei: Nicht wissen wollen, was das bedeuten könnte. Kommen lassen, sich diesem geheimnisvollen Prozess der Gestaltwerdung hingeben, dafür empfangendes Medium sein. Sie erfährt dabei, wie sich ihr Bewusstsein verändert, - ja nicht mehr zu wissen braucht, sondern sie „in einem Wissen steht“: „Ich bin jetzt angekommen“ ist ihr mit einem Male bewusst. „Ich muss nicht mehr weitersuchen, muss nur noch mit den Bildern an der Wand meine Einladung ans Unbewusste aufzeigen.“
Sie erfasst mit einem tieferen Wissen, um was es in ihrem Gestalten geht: Es geht um ein Hineinhorchen können, in diese inneren Vorgänge, wo aus den Tiefen des Unbewussten uns ein helfendes Wissen zu erreichen sucht und zu einer fassbaren Gestalt werden möchten: der „innere Meister“, das Wissen aus unserem eigentlichen Selbst, das im künstlerischen Tun transparent werden will.
Es ist ein Wissen, das in einer Evidenz steht, die vom Ich-Bewusstsein nicht begrifflich erfasst werden kann und doch „Wirklichkeit“ ist. Deshalb sind auch von der Künstlerin ihre Bilder sinnig „Chiffren“ benannt.
So „weiß“ sich Marlene Thiesen in ihrem Kunstschaffen - nun - auf dem richtigen Weg. Es gehe ihr nicht um einen exklusiven künstlerischen Stil noch um Anerkennung im Kunstbetrieb, sondern mit ihrem künstlerischen Ausdruck will sie den „inneren Künstler“ auch im Kunstbetrachter wecken; auch in ihm zu einer Wandlung Anstöße geben.
Das ist Kunsttherapie in ihrer ureigenen Bedeutung! Ihre Erfahrungen sind hilfreich, um zu verstehen, was das Elitäre der Kunsttherapie ausmacht.
Die Kunsttherapie als elitäre Psychotherapie
In den verschiedenen Konzepten zur Kunsttherapie wird darum gerungen, was das Elitäre von ihr ausmacht. Eine erweitere Betrachtungsweise von Kunst kann uns weiterhelfen.
S. Neumann (1987) sieht Kunst als Lebenskunst. Kunst als Kunde des Lebens, wie es Paul Klee verstand. Künstler schöpften aus einem „Wissen“, das zum Ursprungswissen Zugang habe.
Es handelt sich um „transpersonale Wirklichkeiten“. Sie wirken in dem, was Kunst in ihrer neuschöpfenden und heilenden Kraft ist. Aus dieser Ebene der ursprünglichen Schaffenskraft sei alles entstanden und aus dieser sollten auch Künstler schöpfen.
Paul Klee: „Berufen sind die Künstler, die bis in einige Nähe jenes geheimen Grundes dringen, wo das Urgesetz die Entwicklungen speist. Da, wo das Zentralorgan aller zeitlich-räumlichen Bewegtheit, heiße es nun Hirn oder Herz der Schöpfung, alle Funktionen veranlasst, wer möchte da als Künstler nicht wohnen? Im Schoße der Natur, im Urgrund der Schöpfung, wo der geheime Schlüssel zu allem verwahrt liegt? (zit. nach Neumann, 1987, S. 18) Weil jeder Mensch mit seinem eigentlichen Wesen dort wohnt, ist jeder Mensch ein Künstler (Beuys) und kann und soll auf die Botschaft des Lebens aus seinem Ur-Grund zurückgreifen. In diesem erweiterten Kunstbegriff ist Kunst das, was sich beim Künstler aus der Weisheit des Lebens speist.
Kunst und Gesundheit sei in einem funktionalen Zusammenhang. Eigentliches Künstlertum ist Lebensvollzug aus seinem Ursprung. Dessen Enteignung geschehe im Lern-Netz-Werk als Anpassung an die entäußerten Strukturen des Überflusses, der Technik und Kunst der Neuzeit. „Im Netz-Werk gibt es keinen Ansatz zur Wieder-Aneignung. Diese ist nur im Überstieg zum Ur-Sprung in uns möglich. Dort wartet Kunst“. (Neumann, 1987, S. 27). Kunsttherapie könne und sollte aus diesem Ursprung schöpfen.
Mit „Überstieg zum Ur-sprung“ ist eine Bewusstseinstransformation gemeint. Erst mit solch einer Transformation bekommen wir zu Wirklichkeiten jenseits unserer Ich-Wirklichkeit Zugang. Es sind „gereifte Künstler“ gefragt, die aus einem „Seins-Wissen“, also einem transformierten Bewusstsein schöpfen und damit zum Ursprungswissen Zugang haben.
Die Fähigkeit zu künstlerischem Schaffen und der Persönlichkeitsreife wird unterschieden. Nur der Künstler schafft aus „Kunst“, der auch in seiner Persönlichkeit gereift ist. Der Gereifte hat Zugang zum SEIN. Er erlebt und erkennt aus diesem. Das ist nicht nur für den Künstler gefragt, sondern für jeden Menschen, im Besonderen die, die Menschen begleiten wie Therapeuten, Lehrer, Eltern usw. Sie werden zu einem entwicklungsfördernden Begleiter, wenn sie aus „Kunst“, also aus dem Zugang zur „Lebenskunde“ schöpfen.
Damit können wir den Begriff „Kunst-Therapie“ sinnvoll erweitern. Mit „Kunst“ will ausgedrückt sein: Wir tragen ein Wissen um unser eigentliches Wesen und dessen Entwicklungsweg und Ziel in uns. Dieses innere Wissen ist uns zugänglich; aber nur einem Bewusstsein, das dem Ursprungswissen „erinnerungs-mächtig“ ist. Also nicht dem Bewusstsein unserer Ich-Wirklichkeit, dass diesem Ursprungswissen entfremdet ist, sondern einem gewandelten bzw. transformierten Bewusstsein. „Psychotherapie“ in ihrem ursprünglichen Sinne - als ein Weg zum Heil-sein - ist gegeben, wenn sie sich von diesem Ursprungswissen, vom inneren Künstler (Reiter, 2002), von Wissen aus dem eigentlichen Selbst (C.G. Jung) leiten lassen kann.
Die Ich-Wirklichkeit blockiert diesen Zugang. Der Geist der Ratio drängt auf Formbildung; Kunst - in diesem Denken - will vollkommene Form. Das fordert Anspruch und Bewertung ein. Es ist etwas, das in einem therapeutischen Prozess eher hemmend wirkt. Die neue Sicht auf Kunst und die Verknüpfung mit Therapie hingegen ermutigt. Psychotherapie in ihrem eigentlichen Anspruch nach Heil-Werden kann kaum tiefsinniger angesprochen werden als in der Kombination von „Kunst und Therapie“. Um das zu begreifen, braucht es ein Umdenken, ja eine Wandlung in meinem Bewusstsein.
Erkenntnistheoretische Perspektiven künstlerischer Intuition
Nähern wir uns dem Gesagten von einer erkenntnistheoretischen Sicht: Chiffren verweisen auf Grundsätzliches unserer menschlichen Natur. Was klar erfasst und mitgeteilt werden kann, bedarf keiner Chiffre. Das Spektrum dieser Klarheit und was ich offen mitteilen möchte und kann, ist begrenzt. Ich bediene mich – oft zum Schutz – Verschleierungen, sage vielleicht durch die Blume. Vieles ist aber auch auf Grund von psychischen Konflikten nicht bewusstseinsfähig und bedarf der Symbolisation, der Chiffrierung; und Inhalte des kollektiven Unbewussten – Jung nennt sie Archetypen - noch mehr. Dazu kommt, dass wir Bewusstsein nicht einfach haben, sondern es ist uns zur Entwicklung, zur Transformation aufgegeben. Vom Grad unseres Bewusstseins hängt es ab, wie weit wir Inhalte erfassen.
Indem wir das überlegen, ist uns kaum bewusst, dass wir dabei von einem Denken unserer Ich-Wirklichkeit ausgehen. Dieses ist begrifflich, gegenständlich und fixierend. Sie ist uns vertraut, in ihr müssen wir uns bewähren. Wir kommen aber in diesem Denken nicht auf die Idee, dass es außerhalb dieser noch eine ganz andere Wirklichkeit gibt. Und so denken wir uns auch im Rahmen der Möglichkeiten dieses Denkens.
Wir sind aber viel mehr, als es uns bewusst ist. Auch wenn wir es mit unserem Ich-Bewusstsein nicht fassen können: Was in uns als Inbild angelegt ist, will werden, mahnt und drängt uns in vielerlei verschlüsselter Weise; wie in Träumen, Zufällen des Lebens oder auch Leidenszuständen; aber eben in Chiffren. Was will werden? Wie erkennen wir das? Dazu brauchen wir ein Bewusstsein, das unser Ich-Bewusstsein übergreift.
Östliche Bewusstseinskulturen und deren Weisheitslehren schöpfen aus einem erweiterten Bewusstsein, wie die Weisheitslehren oder mystische Traditionen transkulturell. Diese Zugänge ermöglichen uns eine metaphysische Anthropologie, die uns Zugänge gibt, was mit Mensch-Sein in seiner Voll-Gestalt sein könnte.
Das Menschenbild aus solchen Perspektiven zusammengefasst: Jedes Geschöpf trägt sein Inbild in sich, das es werden soll und geht den Weg des Werdens und Vergehens gelenkt aus der Kraft, die diesem Inbild innewohnt. Ihm darf das Inbild, das er in seinem eigentlichen Wesen ist, ins Innesein kommen, und er vermag zu erkennen, wozu er Mensch wurde: transparent zu werden für die Transzendenz. Dazu ist er ein Bewusstseinswesen. Dessen Entfaltung braucht seine mittätige Antwort, bewusst und frei. So bedarf es beim Menschen nicht nur der körperlichen und seelischen Reifung, sondern auch der Bewusstseinsentwicklung. Und hier lauern Fallen, dass er sich auf diesem Weg in der „Ich-Wirklichkeit“ verfängt.
Erkenntnisfähigkeit setzt reflektierende Erkenntnisschritte voraus. Dazu entwickle ich meine Ratio. Mit dieser soll sich ein autonomes, leistungs- und erkenntnisfähiges Ich entwickeln. Die Gefahr besteht dabei, dass ich mich in der damit geschaffenen Wirklichkeit – einer „Ich-Wirklichkeit“ – fixiere und meine weitere Entwicklung zu einem „bewusstseinserleuchteten Selbst“ (G. Graber) verfehle. „Erst indem der Mensch in seiner „Ich-Form durchlässig wird für den Werde-Anspruch aus dem Wesen, kann er die seinem Inbild gemäße Gestalt gewinnen.“ (Dürckheim, 1972, S.64)
Meine Bewusstseinsentwicklung durchschreitet Wandlungen (animistisches, mythologisches, rationales, integrales, mystisches Denken), die jeweils ein anderes Sehen und Erleben ermöglichen. Damit kann auch Anderes gesehen und erlebt werden. Ein Gelingen dieses Weges ist davon abhängig, wie ich von Anfang an von meiner mitmenschlichen Umwelt begleitet werde, wie gereift diese ist und um das Ziel des Menschseins weiß. Aber auch, wie diese mitmenschliche Umwelt selbst durch Konflikte, Traumen bzw. mit systemischen Hypotheken belastet ist und mit diesen vielfältig meinen Entwicklungsweg erschweren kann.
Vor allem wird mir dadurch immer wieder Bewusstheit verstellt. Um mit Traumen, seelischen Verletzungen zu überleben, bin ich gezwungen, meine Bewusstseinsmöglichkeiten dafür einzusetzen, um Nichtbewusstseinsfähiges auszublenden, zu verdrängen, abzuspalten; ja mit neurotischen und/oder psychosomatischen Symptomen kompensieren zu müssen. Ich versperre mir den Zugang zu mir selbst, lebe zunehmend nicht mich selbst, sondern eine Vorstellung von mir, entwickle ein „falsches Selbst“ (D. Laing). Meine Auszeichnung als Bewusstseinswesen, mein Inbild bewusst und frei zu leben, versinkt in ein Meer von Chiffren, deren Inhalt mir verborgen bleibt.
Dennoch, was ich in meinem eigentlichen Wesen, in meinem Inbild werden soll, will werden. Ein elementares Selbstverwirklichungsstreben drängt. Es bringt mich in Krisen. Will von mir gehört werden, aber kann dies nur über die Erlebensebene tun. Die bilderschaffende Kraft der Psyche sucht mir das in Symbolen – aber eben in Chiffren - näherzubringen: In Träumen, in spontanen Einfällen, auf der körperlicher Ebene in einer erfindungsreichen Symptomatik, oder nicht zuletzt in der künstlerischen Intuition.
Marlene Thiesen „weiß“ um die vielen vom konkreten Leben erzwungenen Chiffren, hinter denen sich Leben verbirgt, weil Leben nicht gelebt werden durfte. Belastende familiäre Umstände lasteten auf allem. Frühe Fotos aus ihrer Kindheit berühren; sie zeigen Trauer und Schatten im Gesicht der kleinen Marlene. Und auch der weitere Weg hatte mehr Dornen als Rosen für sie (Der Königsgaukler; Kübber).
Bei Chiffren meint die Künstlerin nicht vordergründig das aus vielfältigen traumatisch erfahrene Verdrängte, das es in einem therapeutischen Prozess zu encodieren gilt, sondern die Botschaften des „inneren Künstlers“, die sich uns in verkleideter Form, eben als Chiffren zur Hilfe anbieten.
Erich Fromm ist Recht zu geben, wenn er meinte: Es gäbe keine wichtigere Sprache zu lernen als die der Symbole. Es ist das Vermögen, die in Chiffren verborgenen Weisheiten aus unserem eigentlichen Selbst für unsere Selbstverwirklichung und Schattenaufhebung nützen zu können.
Arbeit und Leiden am Schatten, darum weiß Frau Thiesen leidlich. Und dies nicht erst in den schwarz-weiß gedruckten „Angstbildern“. Erfahrenes Leid aber verhärtete sie nicht sondern machte sie empathisch, sich in Leiden anderer einzufühlen; wichtige Erfahrungen, therapeutisch hilfreich wirken zu können.
Ich erinnere mich an ein Ausbildungswochenende im IKT (Institut für Kunst und Therapie) München. Mit dem Film „Das weinenden Kamel“ wollte ich ein Beispiel kunsttherapeutischer Intervention bringen. Betroffenheit war im Raum über das Leid des Mutterkamels. Es war durch die überlang dauernde schmerzhafte Geburt so verletzt, dass es das neugeborene Junge ablehnte. Es ließ es nicht trinken. Es hätte nicht überleben können. Ein Musiker aus einer benachbarten Ortschaft wurde geholt. Die Wiegenlieder der Hirtin, begleitet von den Lautenklängen des Musikers vermochten die Blockade zu lösen. Das Kleine war gerettet. Sie nahm es wieder an. Spontan hielt Frau Thiesen die Gefühle in drei Zeichnungen fest, die bei ihr in Resonanz kamen:
Das durch die Geburt traumatisierte Mutterkamel
Mutter und Tierjunge durch das Trauma entzweit
Auflösung des Traumas. Aus den Augen des Kamels Tränen. Es schleckt das Junge und lässt es saugen.
Mit der empathischen, ja synästhetischen Zuwendung der beiden konnten die Schatten, die selbst den Mutterinstinkt lähmten, wieder aufgelichtet werden. Das Leben wurde für alle wieder farbig.
Auch bei Frau Thiesen wurde nach den Angstbildern die Farbe wieder wichtig. Lähmende Barrieren lösten sich. Sie bekam einen neuen, vertieften Zugang zum Leben, zu ihren Gefühlen, zur Natur. Es wäre aber zu schön, könnte eine kunsttherapeutische Intervention wie beim „weinenden Kamel“ auch beim Menschen alle Schatten und für immer lösen. Reifen beim Menschen heißt gewandelt werden zu können durch bewusstes Durchleiden der Schatten in Wiederholungen.
Initiatische Bedeutung künstlerischer Gestaltung
Kunsttherapie im eigentlichen Sinne verstanden ist ein „initiatischer Weg“, wie ihn Graf Drückheim beschreibt (Dürckheim, 1977, S. 216). Ein Entwicklungsweg zur geistig-seelischen Reife.
Reifung auf dem Weg zur Voll-Person (Reiter, 2020) bleibt ein Ringen um die Entzifferung von Chiffren. Oft wird der Sinn der Chiffre schon erahnt, ist aber noch dem bewussten Erleben verschlossen, noch in der Chiffre gebunden. Der Wunsch nach dem „Heureka“ begleitet uns: Die Ahnung, dass hinter dieser sich eine neue Welt öffnet, die uns tiefer atmen und immer weiter in das Geheimnis eindringen lässt, das aller Wirklichkeit zugrunde liegt: Das Unfassbare des Seins, die eigentliche Wirklichkeit.
Dem Menschen als ein Bewusstseinswesen ist es gegeben, durch Bewusstseinstransformationen zu dieser Wesens-Wirklichkeit Zugang zu haben. Es macht sein eigentliches Wesen aus, dass er dieses erleben und erkennen kann. Wenn uns überraumzeitliche Wirklichkeit anrührt, wie in numinosen Erfahrungen, werden die Potentiale entsprechender Sinnlichkeit - eine übersinnliche Sinnlichkeit - geweckt, um das Erfahrene zu Erkennen.
Künstlerische Intuition – so sie reif dafür ist – kann hinter die Dinge schauen, erkennt, was durch das Ich-Bewusstseins hindurchscheint. Sie kann Transparenz als Zustand menschlichen Seins erfahren. „Dann ist Transparenz die Frucht einer Entwicklung, in der durch die Flächigkeit des Ich-Weltbewusstseins hindurch die Tiefendimension des Wesens wirksam hervorleuchtet.“ (Dürckheim,1972, S.31)
Durch die Flächigkeit des Ich-Bewusstseins, die dahinter andrängende Gestalt sichtbar zu machen, ist das Bemühen der Künstlerin Marlene Thiesen. Ihre Bilder – wie sie sagt – haben viele, viele Schichten. Von innen drängen die Gestalten, die gerade zur Bewältigung anstehen: traumatische Erfahrungen ihrer Lebensgeschichte, archetypische Inhalte lebensleitender Themen oder das geheimnisvoll Unsichtbare hinter der uns vertrauten Ich-Wirklichkeit: Das Diaphane, wie es C. Eurich in seinem Blog beschrieb. Frau Thiesen meinte dazu: „Das sei, was immer mehr in meine Bilder drängt.“ – und war vom folgenden Zitat besonders berührt:
„Die Tiefe, die wir erreichen können und die uns wohl von anderen irdischen Lebensformen unterscheidet, liegt darin, sich auf das Durchscheinende einzulassen und es wortlos zu erkennen – oder besser: mit allen Fasern unseres Seins zu erspüren. Dann wird es still tragen, zu jeder Zeit, in der du dich durchlässig machst.“ Das Geschaffene wird auf das Diaphane, das Unendliche hin durchsichtig.
„Möchte ich bewusst irritieren?“ fragt Marlene Thiesen am Schluss ihrer einleitenden Worte zur Ausstellung. Sie möchte wohl mit Ihren Bildern auch die im Kunstbetrachter zur Entwicklung anstehenden Lebensthemen in Resonanz bringen; und das in der Dynamik, aus der auch ihre Bilder entstanden.
Bescheiden spricht sie das an: „Mit zeichnerisch verschlüsselten Formen erzähle ich Geschichten, die so ungewohnt sind für den Betrachter, dass sie Staunen und Fragen hervorrufen. Die Dinge haben für mich ihre eigene besondere Bedeutung“.
Literatur:
Dürckheim G. KF (1972) Überweltliches Leben in der Welt. Barth, Weilheim/OBB
Eurich C., Interbeing.de Blog vom 14.8.2020.
Neumann S. (1987). Ist in der komplexen Gesellschaft Gesundheit möglich und wenn, wäre sie Kunst und wozu noch Kunstwerke, wenn jeder Mensch ein Künstler ist? In: Kunst & Therapie 11: 10-33.
Reiter A. (2002). Entwicklungswissen in der künstlerischen Kreativität. In: Kunstanalyse. K. Everts, L. Janus (Hrsg.). Heidelberg: Mattes Verlag.
Reiter A. (2020) Unser Werden – Ein Reifen zur Vollperson. http://geburtserfahrung.de/homo-foetalis-et-sapiens/
Dr. Alfons Reiter
Raphael Donnerstr. 16
A-5020 Salzburg
alfons.reiter@sbg.ac.at